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Titel

Bike pervers

- Mit dem Mountainbike von Oberstdorf nach Locarno -
von Eckart Heinrich

Inhalt:


Weglos

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"Mist, mein Tacho geht nicht mehr!" Adi und ich wollen gerade wieder zu einem neuen Bikeabenteuer starten und checken ein letztes mal die Räder. "Als ich mein Rad vor einer Stunde aufs Auto geschnallt habe ging der Tacho noch", murre ich. Ich habe keine Lust mich jetzt darüber aufzuregen. Ich kann den Ärger aber nur schwer unterdrücken. Sonst paßt alles, wir rollen los. Es ist Sonntag, der 12. September 1999, sieben Uhr. Die Tour beginnt. In fünf Tagen wollen wir am Lago Maggiore sein.

Die Route haben wir von Andi Heckmair aus Oberstdorf. 1996 sind wir seine Variante von Oberstdorf nach Riva del Garda gefahren [ 1 ] und waren so angetan, daß wir im letzten Jahr auch seine neue Tour ausprobieren wollten. Leider hatte uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir sind dann alternativ eine Woche durch die "Highlights der Dolomiten" gefahren [ 2 ]. Heuer scheinen wir mehr Glück zu haben. Das Wetter war schon in der Woche vor unserem Start traumhaft gut. Wir mußten uns also diesmal keine ernsthaften Gedanken um eine Alternative machen.

Es ist zwar noch frisch aber nicht richtig kalt. Wir können in kurzer Hose fahren. Wir rollen ins Birgsautal. Es sind schon einige Wanderer unterwegs. Das angesagt gute Wetter lockt natürlich nicht nur uns in die Berge. Die Parkplätze an der Fellhornbahn sind schon fast voll, allein mit den Autos derer, die die Nacht auf irgendwelchen Hütten verbracht haben. Er herrscht noch Saison in den Allgäuer Bergen.

Auch Radler sind schon unterwegs. Hier gibt es einige Wandertouren, bei denen sich eine Anfahrt mit dem Bike rentiert. Die Parkplätze liegen weit draußen und die Anmarschwege sind entsprechend lang. Eine Dreiergruppe wechselt sich mit uns im Viehgatter öffnen ab. Hier in Oberstdorf steht der Viehscheid noch bevor. Aus diesem Grund sind noch alle Gatter geschlossen und die unteren Weiden voller Schumpen.
Endlich können wir den Hauptweg verlassen. Die Dreiergruppe strebt dem Schrofenpaß entgegen. Der klassische Bikerübergang nach Warth. Wir haben ihn auch schon mehrfach benutzt. Diesmal wollen wir aber einen neuen Übergang ausprobieren. Das Salzbücheljoch (1800m). Andi Heckmair hat Adi die Route beschrieben. Einen erkennbaren Weg gibt es nicht. Am Anfang kommen wir mit der Beschreibung gut klar. Weglos stapfen wir durch schrofes Gelände. Bald sind wir aber sicher, daß wir nicht mehr auf dem richtigen "Weg" sind. Solange wir in keine ausweglose Situation kommen wollen wir es weiter versuchen. So streunen wir weiter.
Schließlich werden die Latschen immer dichter und das Gelände immer steiler. Gerade kämpfe ich mich wieder um eine Latsche herum, als mich zwei Wanderer von einem Weg herab anstarren. "Morgen!" rufe ich ihnen entgegen. Sie sind zu verdutzt um etwas zu erwidern und ziehen schnell von dannen. Wir klettern auf den Weg. Jetzt ahnen wir endlich wo wir sind. Wir sind zu weit nach Westen geraten. Wir traben weiter Richtung Salzbücheljoch. Schließlich erreichen wir es. Zwei Schumpen versuchen das Paßfoto zu verhindern. Sie sind so was von aufdringlich, daß wir schließlich die Flucht ergreifen. Wir wollen verhindern, daß sie einen Rucksack, einen Sattel oder sonst was fressen oder - noch schlimmer - vollsabbern.

Der Himmel ist strahlend blau. Ich gönne mir noch einen letzten Blick zurück zu den Allgäuer Gipfeln. Die Höfats (2257 m) bietet heute Morgen einen besonders schönen Anblick. Ihre vier Gipfelspitzen zeichnen sich gegen den blauen Himmel ab. Sie sehen aus wie eine riesige Krone. Ein tolles Bild.
Uns drängt es weiter nach Süden. Schnell noch ein paar Einträge ins Tourentagebuch. "Wo ist denn mein Kugelschreiber? Och nö! Ich habe keinen!" Heute morgen habe ich noch zwei in der Hand gehabt und wußte nicht, welchen ich nehmen sollte. Und nun hab' ich keinen dabei. Super!

Nach einer kurzen Tragerei können wir bald wieder fahren. Es gilt eine extrem steile Almwiese herunter zu fahren. Diesen Weg hinauf zu laufen ist sicher keine Freude. Er verläuft fast senkrecht. Kurz vor Lechleiten (1539 m) bleiben wir in der Sonne sitzen und machen Brotzeit. Bei so einem Wetter kommt natürlich Freude auf. Schließlich bekomme ich Lust meinen Tacho zu untersuchen. Ich hätte schon gerne, daß er funktioniert. Sonst fahre ich so im "dunkeln". Ich schraube ihn auf und sehe mir das Innenleben genauer an. Ich reinige die Batterien und schraube ihn wieder zusammen. "Welch Wunder! Er geht wieder!" War wohl nur Feuchtigkeit im Gerät. "Was habe ich wohl für einen Radumfang?" "So zwei Meter schätze ich", meint Adi. "Also gut, ist stelle 2004 ein." Ich werde schon merken, wenn ich plötzlich 198 km/h schnell werde. Jetzt haben wir schon zwei Probleme gelöst. Wir haben das Salzbücheljoch gefunden und meinen Tacho repariert. Fehlt uns nur noch ein Kugelschreiber! Mein Gedächnis ist leider nicht so fotografisch.

Über Lechleiten kommen wir nach Warth (1494 m), dem bekannten Wintersportort. Von hier rollen wir gemütlich nach Lech (1444 m) dem noch bekannteren Wintersportort. Hier ist echt was los. An der Abzweigung ins Zuger Tal steht ein großer Brunnen, an dem wir unsere Flaschen wieder füllen können. Ein wenig kommen ich mir wie ein Fremdkörper vor, in diesem noblen Ort, mit seinen noblen Leuten. Sei's drum, wir verlassen Lech und fahren ins Zuger Tal. Nach kurzer Fahrt biegen wir von der Straße ab und fahren ins Stierlochtal, Richtung Stierlochjoch (2011 m) (Tolles Wort!). Der Weg läßt sich gut fahren. Es ist ein grober Feldweg. Rechts von uns ein mächtiges Felsmassiv. Irgendwo dort oben versteckt sich der Gipfel des Mehlsackes (2652 m). "Ein super Skitourenberg", klärt Adi mich auf.

Schließlich geht nichts mehr mit fahren. Wir müssen schieben. Was mich erstaunt ist, daß uns hier einige Biker entgegen kommen. Ich habe mir das Tal einsamer vorgestellt. Dies scheint eine beliebte Runde zu sein. Allerdings fahren die Leute, anders als wir, über das Spullertal zum Spullersee und dann unseren Weg durch Stierloch wieder hinab. Ist von Lech aus sicher eine schöne Runde. Alles fahrbar würde ich sagen. In unserer Richtung müssen wir trotzdem schieben.

Endlich kommen wir an die Paßhöhe des Stierlochjoch (2011 m). Kurz vor der Paßhöhe herrscht reges Treiben. Eine Gruppe von bestimmt acht Bikern schlängelt sich um ein Gruppe Wanderer herum. Es wird ein wenig gestänkert und ein wenig gelästert. Als beide Gruppen vorbei sind kehrt wieder Ruhe ein. Wir betrachten die Aussicht und machen uns an die Abfahrt.
Die Abfahrt endet am Spullersee. Ein schöner Gebirgsstausee. Mit seinem Wasser wird in Danöfen Strom erzeugt.
Für unsere Augen ist die Staumauer recht eindrucksvoll. Im Vergleich zu anderen Stauseen ist sie aber eher klein. Man merkt, daß heute Sonntag ist. Es herrscht reger Ausflugsbetrieb. Unterhalb der Staumauer ist es ruhiger. Uns zieht es weiter Richtung Danhöfen. An einer Abzweigung kommen uns vier Wanderer entgegen. "Wollt Ihr etwa hier runter fahren? Also wir sind umgekehrt, weil es uns zu gefährlich war. Der Hang ist auf einem ganzen Stück weggerutscht und man muß über blanken Fels klettern." Tolle Aussichten. Wir stehen da und überlegen. Ist der Weg für uns ein Problem oder nicht? Wir entscheiden uns dafür den Weg über den Spreubach nicht zu fahren. Wir nehmen die andere Variante direkt nach Klösterle. Eine weise Entscheidung. Der Weg entpuppt sich als wahre Trailorgie. Wie für uns gemacht. Immer wieder Stufen und Kehren. Aber immer so, daß sie fahrbar sind. Ein Heidenspaß. Wir sind uns einig. Besser kann der Weg am Spreubach entlang auch nicht sein.

Der Weg endet an einer Forststraße. Wir folgen ihr heizender Weise bis zur Hauptstraße. Klösterle wird scheinbar gerade renoviert. Die Straße ist aufgerissen. Der Ort ist für den Verkehr gesperrt. Sehr Bikerfreundlich, wirklich sehr Bikefreundlich. Wir kommen an einem Kaffee vorbei und können nicht widerstehen. Wir kehren ein und gönnen uns einen Cappuccino. Ich kann der Bedienung ihren Kugelschreiber abschwatzen und kann somit endlich anfangen an meinem Tourentagebuch zu schreiben. Wie war das noch heute? Salzbücheljoch, Tacho, Stielochjoch, Spullersee, Orgie bis Klösterle. War doch nicht schlecht bis hier, oder?

Aber wir sind ja noch nicht am Ziel. Weiter führt uns unser Weg Richtung Dalaas. Wir wollen noch über den Christbergsattel und bis Schruns. Wir fahren am Fluß entlang. Der Radweg hat gleich hinter dem Kaffee begonnen. An der Talstation der Sattelkopfbahn zweigen wir ab. In der Karte ist eine eindeutige Verbindung zum Kristbergsattel zu erkennen. So fahren wir durch den Wald und genießen den Schatten. Die Sonne hat doch immer noch Kraft, auch im September. Immer weiter fahren wir bergan. Schließlich kommt es uns dann doch spanisch vor. "Wir sind doch schon viel zu hoch", mein Adi. "Ja, aber da war doch kein Abzweig, den wir übersehen haben könnten!" Wir fahren weiter. Schließlich endet der Weg abrupt.
Da hilft alles nichts, wir müssen umkehren und sehen wo wir den Bock geschossen haben. So fahren wir die schönen Höhenmeter wieder hinunter und suchen unseren Fehler. Wir zweigen mal hier ab und mal da. Wir können irgendwie keine Übereinstimmung mit der Karte entdecken.

Schließlich kommen wir dann doch auf den richtigen Weg. Endlich. Als wir dann auf dem Kristbergsattel (1430 m) stehen atmen wir auf. Leider ist es später geworden als wir gedacht hatten. Mit einem frühen duschen wird es wohl nichts. Wir rauschen die Piste hinab über Innerberg (1151 m) und andere kleine Ortschaften, bis wir schließlich in Schruns landen. Hier suchen wir nach dem Gasthof Hochjochbahn. Wir habe den Gasthof noch in guter Erinnerung, darum steuern wir ihn wieder an. Bald haben wir den Gasthof gefunden und checken ein.

Nach Dusche und Abendessen sieht die Welt doch immer wieder rosig aus. Wir sind mit unserem ersten Tag zufrieden. Es gab ein paar Problemchen zu überwinden. Die Strecke war schön, das Wetter super. Was will man mehr. Hoffen wir, daß es so bleibt. Wir gehen mit den Hühnern schlafen und freuen uns auf den nächsten Tag.


Im Fels

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Nach einer erholsamen Nacht pellen wir uns aus der Kiste. Die Knochen spüre ich schon ein wenig. Ein Blick aus dem Fenster, daß Wetter schaut gut aus. Blauer Himmel strahlt uns entgegen. Nach einem guten Frühstück pflegen wir noch unsere Räder und machen uns auf, zur zweiten Etappe.

Heute soll es über das Drusentor (2342 m) in die Schweiz gehen. "Auf gehts!"
Zunächst rollen wir durch Schruns Richtung Tschagguns. Hier hat das Rollen ein Ende. Der Anstieg beginnt. Bis zum Drusentor sind es 1700 Höhenmeter.
Die Fahrstraße endet bei einem Stausee, oberhalb von Tschagguns. Ein guter Forstweg führt weiter Richtung Lindauer Hütte. Bald schon haben wir die Qual der Wahl. Der Weg gabelt sich. Beide Wege führen zur Lindauer Hütte. Welcher ist der beste Weg für uns? Wir entscheiden uns für den rechten Abzweig. Nach der Karte müssen beide Wege fahrbar sein.
Der Forstweg steigt stetig an. Die Steigung wird aber nie unangenehm. Wir fahren gemütlich dahin. Die Gegend ist schön. In der Ferne erkennen wir bizarre Felsformationen. Das muß der Drusenfluh sein. Schaut abweisend aus. Gegen Mittag sind wir dann schließlich auf der Lindauer Hütte (1700 m). Hier gönnen wir uns was zu beißen. Die Auswahl ist nicht so berauschend. Ich nehme "Teigwaren mit Bratwurst". Der Hunger treibt es hinein.

Für einen Montag hätte ich eigentlich mit weniger Leuten gerechnet. Auf dem Weg hier hinauf haben wir keinen Menschen gesehen. Die Terrasse der Hütte ist aber gut besucht. Die Leute müssen alle vor uns hoch sein, oder sie haben den anderen Weg genommen. Ich beruhige mich damit, daß an einem Wochenende sicher viel, viel mehr los sein würde.

Nach dieser Stärkung brechen wir wieder auf. Von unserem Sonnenbänkle haben wir schon einen Übergang ausgemacht. Schaut gar nicht so problematisch aus. Genaues Kartenstudium führt aber zu der Erkenntnis, daß dies das Schweizertor (2139 m) ist. Unser Übergang, das Drusentor (2342 m), schaut von hier unten eher abweisend aus. Ein schroffer Felsübergang der Eindrucksvoll zwischen Sulzfluh (2817 m) und den Drusentürmen (2754 m) liegt. "Na da bin ich ja mal gespannt!"

Bald nach der Hütte müssen wir schieben. Aber auch mit schieben sind wir bald am Ende. Wir müssen tragen. Der Weg wird immer steiler. Es ist eine rechte Schinderei. Schritt für Schritt schleppen wir uns und die Räder hinauf. Das Drusentor kommt aber nicht näher. Die Landschaft wird immer schroffer. Die Drusentürme heben sich eindrucksvoll gegen den tiefblauen Himmel ab. Eine Traumkulisse. Der Schweiß läuft in strömen. Ein schönes Gefühl.

Ein älterer Wanderer kommt uns von oben entgegen und schaut uns eher verwundert an. Er sagt nichts, es ist aber klar, daß er nicht recht weiß, was er von uns halten soll. Später kommt noch ein junger Mann. Er ist gesprächiger. "Wollt ihr auf die Drusentürme?" So heftig wollen wir es dann wieder auch nicht!

Inzwischen stehen wir in einer Mondlandschaft. Ein steiles Schotterfeld, unterhalb der Felsfronten. Die Sonne brennt in den Kessel. Jetzt ist aber Land in Sicht. Der Übergang ist in greifbarer Nähe. Schließlich erklimmen wir den Scheitelpunkt. Geschafft! "Das war ja echt pervers!"
Wir stehen auf der Grenze zwischen Österreich und der Schweiz. Eineinhalb Stunden haben wir die Räder getragen. Für 600 Höhenmeter eine gute Zeit. Wir lassen den Blick in die Runde schweifen. Eine tolle Aussicht.

Es entbrennt eine heftige Diskussion, ob es ein gutes Zeichen ist, wenn der Höhenmesser weniger Höhe anzeigt als er müßte. Schließlich muß ich Adi recht geben. Wenn der Höhenmesser bei der Hütte noch gestimmt hat und hier oben zu wenig Höhe anzeigt, dann muß der Luftdruck gestiegen sein. Und dies ist doch ein gutes Zeichen.

Unser Weg führt weiter Richtung Carschina Hütte (2221 m). Der Wanderweg dorthin ist weitgehend fahrbar. Wir liefern uns ein Rennen mit drei rüstigen Rentnerinnen. Dadurch, daß wir immer wieder ein kurzes Stück tragen müssen, können sie immer wieder aufschließen. Wenn wir ein Foto machen, überholen sie uns wieder. Dieses Spiel geht so bis zum Abzweig zur Hütte. Die drei Schweizerinnen machen auch eine Mehrtagestour. Sie wollen auf der Chaschina Hütte übernachten. Wir wünschen uns gegenseitig noch viel Spaß und fahren weiter.

Entgegen unserer Planung fahren wir nicht über den Chaschinasee, sondern den direkten Weg über Obersäss ins Tal. Wir sind einfach der Nase nach gefahren und so etwas von der Planung abgewichen. Es ist eine Abfahrt des Swiss Bike Marathon. Also hier in einem Rennen runterzusemmeln halte ich für lebensgefährlich. Die schotterbedekte Teerstraße hat engste Kehren und wenn man von der Straße abkommen würde könnte man glatt senkrecht 50 bis 100 Höhenmeter abkürzen. Wir, die wir nicht unter dem Druck eines Rennens stehen, können gemühtlich durch die Kehren surfen. Im Tal angekommen rollen wir weiter nach St. Antönien (1459 m). Hier gönnen wir uns dann einen Cappuccino und einen Quarkkuchen. Schmeckt echt gut. Die Umgebung tut ihr übriges...

Es hilft nichts, wir müssen uns von der Sonnenterrasse trennen und rollen weiter Richtung Küblis (810 m). Hier ist richtig was los. Die Hauptstraße lädt nicht gerade zum Radfahren ein. Wir fragen einen Gendarmen, ob er einen Radweg nach Saas kennt. Tatsächlich beschreibt er uns einen Radweg. Er tut dies mit einem so merkwürdigen Lächeln, daß ich ihn fragen muß, wo denn der Haken bei der Sache ist. "Wißt Ihr, wir hatten hier in letzter Zeit einigen Ärger mit Muren, aber für euch und mit diesen Rädern dürfte das kein Problem sein." So beschmeichelt, bedanken wir uns heftig und fahren den beschriebenen Weg.
Er führt an der Landquart entlang und es gibt nur einmal das Problem, daß der Weg einfach im Fluß verschwunden ist. Wir müssen ein wenig improvisieren. Bald schon ist er aber wieder gut fahrbar. Wir haben Saas als Etappenziel auserkoren, weil Adi hier schon öfters in einer Pension übernachtet hat.
An dieser Pension angekommen stehen wir vor einem merkwürdigen Schild: "Heute Ruhetag". Was will uns dieses Schild wohl sagen? Adi klingelt Sturm und hämmert an die Tür. Irgendwie kann er es nicht glauben. Nachdem er die Klingel sicher 5 Minuten malträtiert hat, sage ich: "Komm, sieh es ein, da ist keiner da!" "Das gibts doch nicht", bekomme ich zur Antwort. "Der spinnt wohl!" Eigentlich sind wir ja selber Schuld. Wir hätten ja nur vorher anrufen brauchen. Wahrscheinlich ist es uns nicht in den Sinn gekommen, weil wir noch nie eine Übernachtung vorbestellt haben. Das ist ja einer der Reize von so einer Tour. Man weiß beim losfahren nicht wo man Abends unterkommt.

Gut, was nun? In Küblis waren einige Hotels. Küblis heißt aber zurückfahren. Das wollen wir nicht. In Fahrtrichtung liegt Serneus (990 m). Also fahren wir dorthin. Serneus ist ein kleiner verschlafener Ort. "Da sind wir doch gut aufgehoben", ist mein erster Gedanke. An der Tür des einzigen Gasthofes hängt ein schon bekanntes Schild: "Heute Ruhetag", sonst ist nichts zu sehen, was nach Zimmer aussieht. "Da ist das Fremdenverkehrsamt!" Als ich die Treppen hinauf stürme sehe ich im Augenwinkel die Öffnungszeiten. "Schon seit 10 Minuten zu", denke ich mir. Die Tür geht aber noch auf.
"Für eine Nacht bekommen sie hier keine private Unterkunft", sagt die Frau hinter dem Tresen. "Da gibt es hier nur ein Hotel, indem sie unterkommen könnten". Sie beschreibt mir den Weg. Ein kurzes Stück müssen wir zurück. "Kur und Sporthotel Serneus" prangt am Eingang. Scheint eher was nobles zu sein. Adi klärt die Lage. Ich setzte mich derweil auf eine Sonnenbank und warte. "Nobler Schuppen, mit Thermalbad und allen Schikanen", lautet Adis Bericht. Die Alternative wäre zurück nach Küblis. Da wir beide keine Lust mehr dazu haben, checken wir ein.

Im Detail stellt sich der Schuppen als gar nicht so nobel heraus. Zimmer hatten wir schon deutlich schönere. Um den Preis etwas zu relativieren gehen wir erst einmal ausgiebig ins Thermalbad und lassen uns von den Massagedüsen durchblubbern.
Im Liegestuhl am Beckenrand können wir durch die große Fensterfront eine große neue Brücke sehen. Sie ist scheinbar das Kernstück einer Umgehungsstraße um Klosters. Für uns ist es besser, daß die Brücke noch nicht im Betrieb ist, sonst hätten wir ein Zimmer mit Straßenlärm. Des einen Freud ist des anderen Leid.

Als wir genug vom Massieren haben, schreiten wir zum Essen. Überfüllt ist das Hotel nicht gerade. Das Durchschnittsalter der Gäste ist durch uns deutlich nach unten gerutscht. Aber, was sollten wir machen. Unterwegs hätte es einige schöne Unterkünfte gegeben. Zum Beispiel in Klösterle oder Küblis. Aber wir hatten einfach keinen Bock mehr zurückzufahren. Nachher weiß man immer alles besser!
Nach dem zweiten Glas Rotwein kommt uns das Hotel dann auch schon viel gemütlicher vor.


Das Grauen hat einen Namen

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Das Frühstücksbüffet versöhnt uns weiter mit unserer Unterkunft. Es ist zwar zur ausgemachten Zeit niemand auf uns vorbereitet aber die freundliche Dame am Büfett versucht zu machen, was möglich ist. Auswahl gibt es reichlich und wir nutzen die Vielfalt. Wieder steht uns ein heftiger Tag bevor und da heißt es Kräfte sammeln und Kohlehydrate bunkern.

Um neun Uhr geht es wieder auf die Piste. Vom Hotel weg geht es bergan. Zunächst auf einer Teerstraße, später wird diese dann zu Schotter. Die Steigung ist gemütlich aber stetig. So können wir langsam warm werden. Auch hier finden wir immer wieder Richtungsschilder vom Bike-Marathon. Wir können uns mit diesem und dem Teilstück gestern ein gutes Bild von der Strecke machen. Ich bin mir sicher, daß ich diese Strecke nicht unter Rennbedingungen fahren möchte. Als Zweitagestour ist es aber bestimmt eine feine Sache. In einer Bike-Zeitung habe ich mal einen entsprechenden Bericht gelesen. [ 3 ] [ 7 ]

Wir kommen an die Mittelstation von einer Bergbahn. Sie ist in meiner Karte gar nicht eingezeichnet. Schifer (1562 m) heißt die dazugehörige Hütte. Wir kommen auf die glorreiche Idee auf einem affensteilen Fußweg abzuzweigen, weil hier unser nächstes Etappenziel "Conterser Schwendi" angeschrieben ist. Als wir nach 100 Höhenmetern tragen oberhalb der Alm wieder auf den Fahrweg kommen wird uns klar, daß dies nur ein mühseliger, unnötiger Abstecher war. Ein genauer Blick in die Karte hätte dies auch schon vorher bestätigt.
Von der Alm Conterser Schwendi (1682 m) geht es, wieder fahrbar, weiter Richtung Durannapaß. Wir fahren durch ein landschaftlich sehr interessantes Gebiet. Wenn wir nicht wüßten, daß wir auf fast 2000 Meter Höhe sind, würde ich es nicht glauben. Ausgedehnte Almflächen breiten sich vor uns aus. In einiger Entfernung ist eine Gruppe Männer damit beschäftigt Gülle auszubringen. Dies an sich ist ja noch nichts besonderes. Das besondere ist, daß sie dies gleich mit einer Feuerwehrübung verbinden. Das ist das erste Mal, daß ich sehe, das jemand Gülle praktisch händisch mit einem großen Schlauch ausbringt. Der Boden ist wahrscheinlich zu weich für schwere Maschinen. Da bleibt nur die Handarbeit.

Wir lösen uns von dem Anblick und fahren weiter bis wir endlich auf der Paßhöhe vom Duranapaß (2117 m) ankommen. Spektakuläre Aussichten haben wir hier nicht. Das Gelände ist zu sanft. Die Paßhöhe ist nur eine leichte Erhöhung auf dieser weiten Hochebene. Wind pfeift uns um die Ohren. So halten wir uns gar nicht lange auf und suchen nach dem Weg ins Tal. Dieser ist nicht gerade eindeutig. Weglos geht es einen steilen Wiesenhang hinunter. Wir halten einfach auf eine Tenne zu, von der aus ein Weg zu erkennen ist.
Mit dem Hintern auf dem Hinterrad meistern wir das Gefälle. Bei solchen Aktionen habe ich immer bammel vor Murmeltierlöchern oder unvermittelt auftauchenden Stufen. Oft ist es eine Kleinigkeit die die bis an die Grenzen ausgereizte Physik der Fliehkraft und des Impulserhaltungssatzes gegen einen stellt und einen, je nach Tempo, weit oder weiter durch die Luft fliegen läßt und nach einem Salto und/oder einer Schraube, der Schwerkraft folgend, wieder auf den Boden der Tatsachen schlagen läßt. Hier und jetzt bleiben uns solche Ausflüge in die Botanik erspart. Wir erreichen die anvisierte Tenne und folgen dem Feldweg weiter ins Tal. Unsere Richtung ist Langwies/Arosa.

Nach kurzer Fahrt bleiben wir in Straßberg (1919 m) hängen. Eine Ansammlung von uralten Holzhütten. Wenn nicht, mitten im Dorf, eine Bushaltestelle Modernität anzeigen würde, man würde sich in eine andere Zeit versetzt fühlen. Nachdem wir unsere Wasservorräte wieder aufgefüllt haben lösen wir uns von dem Anblick und fahren weiter nach Langwies (1377 m). Hier hat uns die Zivilisation wieder. Von hier folgen wir der Straße bis Litzirüti (1452 m). Es ist Mittagszeit und an einem Gasthof mit Biergarten kommen wir nicht vorbei. Essen ist angesagt.

Ich überrede die Bedienung aus einer "Kinderportion" Spaghetti eine Portion für "große Kinder" zu machen. Ein unangenehmer Wind zerrt an den Sonnenschirmen. Es ist keine Wolke am Himmel zu entdecken. Wir wollen doch hoffen, daß das Wetter weiter mitspielt bei unserem Spiel. Die Rätische Bahn rumpelt vorbei. Erst jetzt sehen wir, daß direkt an unserem Biergarten ein Bahnhof liegt. Für mich ist es das erste Mal, daß ich die Rätische Bahn sehe.

Wir lösen uns von der Biergartengemühtlichkeit. Es drängt uns zu neuen Zielen. Auf einem Forstweg, immer in der Nähe der Rätischen Bahnlinie, fahren wir weiter Richtung Arosa. Wir fahren aber nicht in den Ort, sondern kommen unterhalb Arosa an einen Stausee (1606 m). Von hier zweigt unser Weg ab in den Welschtobel.
Der Einstieg ist schon mal gut inszeniert. Es gilt eine Hängebrücke zu überqueren. Diese ist aber eher vom Typ "Hightech". Sie stellt kein Problem da. Der Weg in den Tobel ist ein Wanderweg, dieser ist aber sehr gut zu fahren. Wirklich ein toller Weg. Es geht durch Latschen, Wald und dann wieder durch offenes Gelände. Ein echtes Highlight. Wir sind wirklich erstaunt wie lange wir hier fahren können. Bei jeder kniffligen Stelle denken wir uns, daß es jetzt wohl vorbei ist. Es geht aber immer wieder weiter. Schließlich ist es doch vorbei. Wir müssen auf die andere Seite des Tobels wechseln. Mit diesem Wechsel ändert sich auch der Weg. Fahren wird unmöglich. Wir schieben und tragen uns bergan. Weit oben ist eine Hütte zu erkennen. Das muß die Alpenvereinshütte sein, die in der Karte eingezeichnet ist.

Die Sonne brennt mal wieder auf uns herab. Mir wird langsam das Wasser knapp. "Bis zur Hütte wirst du es schon schaffen", sage ich immer wieder zu mir selber. Als wir dann auf Höhe der Hütte sind, erkenne ich, daß wir nicht direkt an dieser vorbeikommen. Ein kleiner "Ableger" der Hütte, vor dem ich einen Brunnen erwartet habe, erweist sich als Enttäuschung. "Bis zu der Hütte laufe ich jetzt nicht", entscheide ich trotzig. Adi hat seine Flaschen kurz zuvor an einem Bach aufgefüllt. Das ist normalerweise nicht so mein Fall. Dies scheint mir aber ein Notfall zu sein. Wir teilen das Wasser brüderlich.

Von unserem Platz aus sehen wir die gewaltige Strecke, die wir in diesem Tal schon zurückgelegt haben und es ist noch kein Ende abzusehen. In unserer Richtung geht es noch eine ganze Zeit bergan. Die eigentliche Paßhöhe ist noch nicht genau auszumachen. Ein echtes psychologisches Problem. Wir schleppen uns weiter. Einen Weg gibt es nicht. Weglos ziehen wir dahin. Zum Ende hin wird es immer steiler. Der Höhenmesser zeigt noch 80 Höhenmeter. Endspurt! Zähne zusammenbeißen und durchziehen! Geschafft!
Das Grauen hat einen Namen: Furcletta (2573 m). Echt pervers! Was treibt einen zu so einem Wahnsinn? Wir sind richtig fertig. Die Gegend ist genial, das Wetter traumhaft, die Stimmung gut. Die Erschöpfung weicht der Erkenntnis: Wir sind oben!

Recht bald haben wir unsere Kräfte wieder beisammen und machen uns an die "Abfahrt". Wir rechnen mit einem kurzen Tragestück. Später muß es dann links weggehen und fahrbar werden. Wir traben frohen Mutes mit unseren Rädern bergab. Ab und zu versuchen wir uns mit einer Traileinlage bei Stimmung zu halten. Nach dem ersten Salto über den Lenker verschieben wir dies aber lieber auf weicheres Gelände. Der Abzweig kommt und kommt nicht. "Jetzt kommt es mir aber langsam Spanisch vor", sage ich zu Adi. "Was hilft es? Solange kein Abzweig kommt, müssen wir hier weiter." Recht hat er. Also tragen wir unsere Räder weiter den Berg hinab.

Nach fast 700 Höhenmetern stellen wir trocken fest, daß der Abzweig wohl nicht mehr kommt. Auch egal. Jetzt sind wir in Aclas Dafora (1699 m). Ein Fahrweg beginnt. Dem schnellen Ritt nach Alvenau (1181 m) steht nichts mehr im Wege. Wir folgen einfach den Hinweisschildern. Es geht über steile Forstwege hinab. Es dämmert schon. Wir haben viel Zeit verloren. Die Etappe war hart an unserer Leistungsgrenze.

In Alvenau finden wir auf Anhieb keine Unterkunft. Erst eine Passantin gibt uns den richtigen Tip und wir finden eine Pension. Leider gibt es hier nur Frühstück und wir müssen zum Abendessen was anderes suchen. Das ist uns aber relativ egal. Hauptsache gut untergekommen und duschen.
Nach der Dusche schaut die Welt schon wieder anders aus. Die Lebensgeister sind wieder aktiviert. Jetzt aber los und was zwischen die Kiemen schieben.


Bikeunfreundlich

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Piep, piep, piep, der Wecker hat uns lieb! (Ne, das war anders!) Es ist halb sieben. Wir kriechen aus dem Bett. Heute wollen wir früher loskommen. Die Etappe wird es in sich haben. Das alte Mütterlein, daß die Pension umtreibt, hat schon das Frühstück gerichtet. Ein gutes Frühstück.

Wir lassen uns noch vor dem Eingang fotografieren. Die Tochter erzählt uns, daß dies ein beliebtes Fotomotiv sei. "Dieser Eingang ist schon von Besuchern aller Kontinente fotografiert worden!" Na ja, dann von uns eben auch.

Dick eingepackt fahren wir los. Es geht an einem Fluß entlang Richtung Tiefencastel (851 m). Der Weg an der Albula entpuppt sich als ein schöner Trailweg. Schließlich fabriziere auch ich meinen obligatorischen Toursturz. Außer ein wenig Staub auf der Jacke bleibt aber nichts zurück.
In Tiefenkastel angekommen müssen wir uns nur kurz mit Autos auseinandersetzen. Sofort im Ort fahren wir auf einer Nebenstraße wieder fast autofrei. Unser nächstes Ziel ist Mon (1231 m).

Die Auffahrt hier verläuft eher unspektakulär. Das kommt uns aber gerade recht. Für später hat uns Andi Heckmair nämlich noch einen "Bikeunfreundlichen" Abstieg vorausgesagt. Er bietet zwar auch eine Alternative, diese haben wir aber gleich wieder verworfen. Ich trage mein Rad lieber ein paar Stunden durch die Pampa, als das ich auf einer vielbefahrenen Paßstraße radle. Aber da hat jeder seine eigene Philosophie.

Hiermit sind wir beim Knackpunkt von so einer Tour angelangt. Der ein oder andere wird sich denken, daß er so eine Tour auch mal fahren will. Klar, jederzeit möglich. Aber bitte macht euch klar, daß auch Tragepassagen dabei sind. Heckmair geht so weit, daß er sagt: "Dies ist eine hochalpine Wanderung, auf die man auch sein Bike mitnehmen könnte." Für alle die mit der Tragerei ein Problem haben, gibt es genügend andere Traumtouren, bei denen man nichts, oder nur sehr wenig tragen muß.[ 4 ] [ 5 ]

Während dieses kleinen Ausschweifer sind wir inzwischen in Radonz (1866 m) angekommen. Die Fahrt hier hoch verlief ohne Zwischenfälle, auf einer Teerstraße. Nur einmal wurden wir kurz aus unserem Kurbeltrott gerissen. "Habt ihr eine Pumpe dabei?", schrie plötzlich jemand. "Ja", riefen wir zurück. Der Rufer kam mit seiner Schubkarre angerollt. Und die hatte einen Plattfuß. Das Malheur war bald behoben. Den Wein, den er uns anbot mußten wir leider ausschlagen. Ich bin mir sicher, daß wir sonst verhockt wären.

Bei einer Alm kurz hinter Radonz ist dann auch die Fahrbarkeit des Weges am Ende. Nur noch vereinzelt können wir kurze Stücke fahren. Immer wieder müssen wir durch tiefe Gräben oder über Schutthalden klettern. Das Val Curten ist ein schroffes Tal. Die Bäche, die von beiden Seiten des engen Tales herabkommen, bringen eine Menge Schutt und Geröll mit. Die Stimmung ist gedrückt. Wir reden nicht viel. Ein heftiger Wind bläst uns entgegen. Einer alten Regel folgend kommt beim radeln der Wind immer von vorne. Diese Regel scheint auch zu gelten, wenn man sein Bike trägt.

Meter für Meter schleppen wir uns der Paßhöhe entgegen. Schließlich sind wir oben. "Fuorcla Starlera" steht auf dem Schild (2512 m). Kalter Wind zerrt an unserer Laune. "Scheiß Schinderei!" Das Val Curtens ist trotzdem toll.
Jetzt wollen wir doch mal sehen, was Heckmair unter einem "bikeunfreundlichen Abstieg" versteht. Nach dem gestrigen Abstieg vom Furcletta kann uns eigentlich nichts mehr erschrecken. Der Weg durch das Val Starlera erweist sich wirklich als unfahrbar. Als erwähnenswert schlecht kommt es uns aber nicht vor. 700 Höhenmeter geht es Abwärts, ohne das wir auch nur ans fahren denken können. Echt pervers. Irgendwie scheint dieser Ausspruch ganz gut zu dieser Tour zu passen. Er schoß mir mal schon oft durch den Kopf. "Ich weiß einen guten Titel für die Tour", sage ich zu Adi. "Bike pervers". "Das paßt", gibt er mir recht.

Schließlich kommen wir aber doch an einen Fahrweg. Und was für einen. Wir driften um die Schotterkurven und landen endlich in Innerferrera (1480 m).
Es ist halb fünf und wir müssen unsere Lage kritisch hinterfragen. Nach Plan liegen noch schätzungsweise drei Stunden vor uns. Davon eine Stunde bergauf und eine Stunde bergab tragen. Mit einem Sicherheitsfaktor und unter Berücksichtigung unserer Kraftreserven sagen wir lieber vier Stunden. Das ist heute nicht mehr zu schaffen. Wie entscheiden uns, hier in Innerferrera nach einer Unterkunft zu suchen. Die Suche fällt nicht schwer. Wir sind von unserer Forstpiste praktisch direkt auf die Sonnenterasse eines Gasthofes gefahren.
Ich frage den Wirt nach einem Zimmer und erwähne dabei wo wir eigentlich noch hinwollten. "Ja, wenn ihr lieber in ein Rifugio wollt, dann fahrt doch noch zum Lago di Lei!" Das gefällt uns natürlich ganz gut. So könnten wir den Nachmittag noch nutzen und würden Morgen vielleicht doch noch den Lago Maggiore erreichen. Der Wirt ruft für uns beim Rifugio an und erklärt uns den Weg. "In einer Stunde müßtet ihr dort sein", sagt er uns noch zum Abschied. Erst hat es mich ja gewundert, daß er uns so uneigennützig eine andere Unterkunft besorgt hat. Er hat uns aber dann erklärt, daß der Wirt vom Rifugio ein Freund von ihm sei, und das sie sich öfter gegenseitig Gäste zuschieben. Also auf zum Lago di Lei.

Zunächst müssen wir ein Stück auf der Hauptstraße fahren. Die hat ihren Namen aber nicht verdient. Kein Auto zu sehen. Ein verlassenes Gebiet. Ich kann mir aber vorstellen, daß hier im Sommer am Wochenende oder in den Ferien der Bär los ist. Bald zweigt die Straße zum Lago di Lei ab. Auch diese ist erst geteert.

Für die Autos, die zur Staumauer wollen, wurde ein Tunnel durch den Berg getrieben. Wir wählen den Weg über den Berg. Bis auf fast 2200m kommen wir wieder hinauf. Als wir auf dem Grat ankommen sind wir überrascht, daß der See so weit unter uns liegt. Jetzt ist uns klar, daß wir den Rest der Etappe unmöglich geschafft hätten. "Wir können froh sein, wenn wir noch bei Tageslicht bei der Staumauer sind und unser Rifugio finden!" Von unserem Grat hinunter zum See ist noch ein richtiger Trail zu überwinden. Alte Militärstellungen sind in den Berg gebaut. Wir bewegen uns an der Grenze zwischen der Schweiz und Italien. Dunkle Wolken über dem See lassen eine gespenstische Stimmung aufkommen. Ich fühle mich an Loch Ness in Schottland erinnert. Jeden Augenblick kann ein Ungeheuer aus den Fluten auftauchen und uns einen Feuerstrahl entgegen blasen. Dann würde mir vielleicht wärmer! Inzwischen ist es nämlich deutlich abgekühlt.

Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie solche Geschichten von Ungeheuern und Fabelwesen entstehen. Es gibt Gegenden und Stimmungen, bei denen solche Geschichten einfach entstehen müssen. Wälder und Seen sind bestens geeignet um solche Stimmungen zu erzeugen.

Wir rollen über die Staumauer, vorbei am Ausgang des Tunnels. Das Rifugio haben wir bald gefunden. Ein netter Laden. Wir bekommen ein Zimmer mit vier Etagenbetten für uns allein. So können wir uns ausbreiten. "Ab unter die Dusche und dann was zwischen die Kiemen!" Als wir beim Abendessen sitzen sind wir froh über die Entscheidung nur bis hier zu fahren. Wir waren um sieben Uhr beim Rifugio und hätten von hier sicher noch mal drei Stunden gebraucht. Die letzte Stunde wäre dann noch ein Klettersteig gewesen. Das ist im dunklen sicher auch kein Spaß. Außerdem sind 2700 Höhenmeter auch genug in unserem Alter.

Wir lassen uns das gute Essen und den Rotwein schmecken. Das Rifugio ist gut eingerichtet. Im Kamin knistert ein Feuer. An einem Tisch wird Karten gespielt, an ein paar Tischen wird gegessen. Es herrscht eine gelöste und gute Stimmung. Nach der zweiten Portion Spaghetti und dem x-ten Glas Rotwein treibt es uns die Müdigkeit ins Gesicht. Wir schleppen uns in die Kojen und ich falle in einen tiefen Schlaf.


Kirk ruft Enterprise

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Es ist halb acht. Wir haben schon ein gutes Frühstück hinter uns und sind bereit unseren letzten Tourentag anzugehen. Die Wirtin gibt uns noch den Tip nicht über den Klettersteig zum Rifugio Chiavenna abzusteigen, sondern über einen ungefährlicheren Weg, der weiter südlich verläuft. Wir bedanken uns für den Hinweis und machen uns auf den Weg. Der Himmel ist bedeckt. Wir haben aber die Hoffnung, daß es noch aufreißt.

Es ist totenstill. Wir fahren am Lago die Lei entlang. Wir müssen bis an sein Ende. Unsere Sicht reicht inzwischen bis zu den vergletscherten Bergen am Horizont. Nach neun Kilometern haben wir das Ende des Sees erreicht. Jetzt gilt es den Passo di Angeloga zu erklimmen. Frisch gestärkt kann uns dieses Tragestück nicht belasten. Es wird warm. Auf halber Höhe trennen wir uns von unseren langen Klamotten. Es erstaunt uns immer wieder, bis in welche Höhen man Schumpen findet. Die müssen doch irgendwie mit Bergziegen verwandt sein!?

Nach eineinhalb Stunden haben wir die Paßhöhe erreicht. Wir sind wieder auf 2390m. Der Nebel ist zwar nicht dicht aber er verbreitet doch eine neblige Stimmung. Kein Laut ist zu hören. Kein Windhauch ist zu spüren. Wir kommen an den Wegabzweig, den uns die Wirtin beschrieben hat. Rechts geht es über den Klettersteig und links über einen Wanderweg zum Rifugio Chiavenna (2039 m). Wir wählen den Wanderweg. Einen nebelfeuchten Klettersteig brauche ich nicht, wenn es sich vermeiden läßt.

Der Weg ist gut. Wir können aber keinen Meter schieben. Tragen ist angesagt. Wir kommen gut voran. Blauer Himmel schaut jetzt immer wieder durch den Wolkenschleier. "Das Wetter wird sich schon noch richten", sagt Adi optimistisch. Nach einer Stunde erreichen wir das Rifugio. Alles recht einsam hier. Die paar Häuser die drumrum stehen sind verwaist. Im Rifugio rührt sich was. Hier wäre die letzte Übernachtung geplant gewesen. Wir hätten also gestern noch drei Stunden und 15 Minuten vor uns gehabt. Wir wären also kurz nach zehn Uhr hier gewesen. Es tut gut, wenn man sich im nachhinein bestätigt sieht.

Wir halten uns nicht weiter auf und streben weiter hinab ins Tal. 900 Höhenmeter liegen noch unter uns. Der Weg ist der Hammer. Teilweise kommen wir uns vor, wie auf einer Canyoning-Tour. Der Unterschied ist, daß wir nicht mit Seil und Neoprenanzug unterwegs sind sondern mit dem Bike. Der Weg verläuft wirklich teilweise im Bach. Der Weg ist super angelegt. Teilweise sind Felsen wie Treppen aufgeschichtet. Die Aussicht läßt uns auch immer wieder vergessen, daß dies für Biker vielleicht der falsche Ort sein könnte. Komisch finde ich nur, daß Heckmair die gestrige Etappe als Bikeunfreundlich bezeichnet und diesen Abschnitt nicht mal erwähnt. Uns macht es auf jeden Fall richtig Spaß.

Schließlich hat der Gott der Forstwege ein Einsehen und wir kommen an einen Weg. Dieser ist zwar unterste Kategorie, aber die Massage, die den ganzen Körper beim fahren erfaßt tut unseren Knochen echt gut. Wir - vor allem ich, ohne Federgabel - werden so richtig durchgeschüttelt. Dann wird der Weg besser und schließlich sind wir auf einer Hochgeschwindigkeitsrennsemmelforstpiste unterwegs.

Unvermittelt stehen wir in Tini (1104 m). Die Zivilisation hat uns wieder. Leider! Es ist jetzt 12 Uhr. Unser Plan, heute bis zum Lago Maggiore zu kommen, scheint noch realistisch.
Der Kontrast ist kraß. Vor einer Stunde waren wir noch völlig einsam in der "Wildnis" unterwegs und jetzt liefern wir uns ein Rennen mit Wohnmobilen und Lastern. Wir heizen den Splügen hinunter. Es ist zwar nicht viel Verkehr aber in den engen Kehren sind die Womos ein echtes Hindernis. Wir warten einen günstigen Moment ab und flitzen vorbei. Auf einer Geraden versuchen sie zwar wieder aufzuschließen, aber in einer Kehre haben sie dann wieder verloren. So erreichen wir Chiavenna (325 m). Der Stadtlärm macht uns zu schaffen. Es ist als fährt man gegen eine Wand. Wir orientieren uns kurz und fahren dann über eine Nebenstraße Richtung Novate (212 m). Die Nebenstraße macht ihrem Namen keine Ehre. Ein Auto am anderen. Zum kotzen! Wir fahren, als wenn es ums Leben gehen würde. Es ist topfeben und die Straße schnurgerade. Wir geben uns gegenseitig Windschatten. Nur weg von dieser Straße.
Die Kilometer ziehen sich. Bei Novate müssen wir zu allem Überfluß auch noch auf die Hauptstraße. Die Nebenstraße endet hier. Eine Tunneldurchfahrt macht das Übel perfekt. Ein zweiter Tunnel hat eine Umfahrmöglichkeit für Radler. Endlich kommt der Abzweig zum Lago di Como. Der Verkehr bleibt nervig und es werden auch nicht weniger Autos. Wir fahren was die Beine hergeben. Ab und zu können wir den Comer See erkennen. Die meiste Zeit führt die Straße aber nicht am See entlang. Endlich erreichen wir Dongo (200 m). Eine häßliche Stadt. Überhaupt hat uns das Teilstück von Tini bis hierher überhaupt nicht gefallen. Das beste war noch die Abfahrt vom Splügen. Der Rest war echt zum abgewöhnen.

Es ist halb drei. Vom Lago Maggiore trennt uns "nur" noch ein Gebirgszug mit einer Höhe von 2000 Metern und eine Strecke von circa 60 Kilometern. Eigentlich eine gute Tagestour. "Schaffen wir das noch?" Meine Frage kommt mir fast naiv vor. "Na klar!", meint Adi. Wir diskutieren das Für und Wider. Peter, unser Mann im Hintergrund, ist sicher schon gestartet. Er wollte heute Mittag aus dem Allgäu nach Locarna starten, um uns gegen Abend in Empfang zu nehmen. Da wir guter Hoffnung waren, haben wir den Zeitplan nicht ernsthaft in Frage gestellt. "Peter ist sicher schon unterwegs", meint Adi. So diskutieren wir eine Zeit, bis wir schließlich einstimmig die Weiterfahrt beschließen. Passo S. Jorio, wir kommen!

Zuerst ist es noch eine Teerstraße, die uns schnell weiterbringt. Stetig ansteigend gewinnen wir wieder Höhe. Bald wird die Straße zum Schotterweg. Dieser ist aber in gutem Zustand. Das Wetter macht uns jetzt aber langsam Sorgen. Es hat sich immer weiter zugezogen und es beginnt leicht zu nieseln. Wir sichern unsere Rucksäcke mit der Regenhülle, damit unsere Klamotten nicht durch beständiges benieseln naß werden. Auch das Fotomaterial ist so geschützt. Eine Regenjacke ist noch nicht nötig. Es ist so warm, daß wir sicher mit Jacke nasser würden als ohne. Weiter geht die Fahrt Höhenmeter für Höhenmeter. Die Wolken drücken weiter runter, aus nieseln wird Regen. Nun ziehen wir doch die Regenjacke an. Adi macht das Foto auf das bestimmt schon viele gewartet haben. Adi und Eckart biken im Regen. Auf keiner unserer Bikereisen haben wir bisher einen Regentag gehabt. Es war einfach mal fällig.

Meine Kräfte schwinden von Minute zu Minute. Ich bin regelrecht ausgepowert. "Da oben ist die Paßhöhe", meint Adi. Wir erklimmen die "letzte Steigung" und stellen fest: Es ist nicht die Paßhöhe. Wir blicken zwar schon Richtung Schweiz, aber die Paßhöhe ist es noch nicht. "Da oben, was ist denn das?", frage ich vorsichtig, als ich circa 300 Höhenmeter weiter oben ein Rifugio erkenne. Ein Blick in die Karte schafft Klarheit. Wir stehen gerade am Rifugio Il Giove (1706 m) und sind noch ein gutes Stück von der Paßhöhe auf 2014 m entfernt. Da hilft alles klagen nicht. "Da müssen wir durch!" Der Weg ist immer noch fahrbar. Ich muß trotzdem immer wieder schieben. Meine Kraft ist echt am Ende. Wir kommen nur noch langsam voran.

Kurz unterhalb des Passo S. Jorio steht das gleichnamige Rifugio. Zwei Jeeps stehen davor, es ist aber kein Mensch zu sehen. Es ist sieben Uhr. Scheiße, in einer halben Stunde wird es dunkel. Laut Heckmair kommt jetzt eine ebene Tragestrecke von einer Stunde. Für uns also eineinhalb Stunden. Dann gilt es 1800 Höhenmeter zu vernichten. Während ich das so überlege trabt Adi zielstrebig los. "Willst Du da jetzt weiter, oder was?!" rufe ich ihm nach. "Der Peter wartet unten, wir müssen runter!" ruft er zurück. "Deswegen breche ich mir doch nicht die Beine!" Meine Antwort scheint ihn zu überzeugen. "Hast ja eigentlich Recht, aber was sollen wir machen?" "Ich schau mal, ob in dem Rifugio jemand ist. Da stand doch ein Auto davor und es kommt Rauch aus dem Kamin", sage ich und trabe auch schon los.
Ein Teil der Fensterläden ist geschlossen. Die erste Tür ist genauso zu. Erst die zweite Tür gibt nach einen kräftigem Stoß den Weg frei. Ich höre ein Radio dudeln. "Hallo, jemand zu Hause?", ich rufe ein paar mal. schließlich kommt Antwort. Ein verdutzter Italiener steht oben auf dem Treppenabsatz und schaut auf mich herunter. Ich erkläre ihm die Lage und frage, ob wir hier für die Nacht unterkommen können. Inzwischen ist noch ein zweiter Italiener aufgetaucht. Sie beraten sich kurz und nicken dann heftig. Klar können wir übernachten. Die Verständigung ist schwierig. Der eine versteht nur italienisch und der andere ein wenig englisch. Aber wir kommen klar.

"Alles klar, wir können hierbleiben!" rufe ich zu Adi hinauf. Er steht noch unterhalb der Paßhöhe und versucht Peter mit dem Handy in Locarno zu erreichen. Wir müssen ihn ja auf jeden Fall informieren, sonst schickt der noch einen Suchtrupp los. Scheint aber nicht so einfach zu sein. Ein wenig erinnert mich diese Szene an "Raumschiff Enterprise". Was das mit uns zu tun hat? Da war es doch auch immer so, daß wenn Kirk und Spock auf einem Planeten eine Mission zu erfüllen hatten und es brenzlig wurde, ging der Funk nicht oder Scotti mußte kleinlaut zugeben, daß der Transporter gerade klemmt und er erst einen 25er- Schlüssel suchen müsse um die Elektronik wieder in Schuß zu kriegen. So sieht es bei uns auch gerade aus: "Kirk an Enterprise, beamt uns rauf".

Schließlich kann Kirk, äh Adi seine Meldung doch anbringen und wir schauen uns unser Domizil genauer an. Die Hütte wird gerade renoviert. Das Erdgeschoß gleicht einer Baustelle. Im ersten Stock sind sie aber scheinbar schon fertig. Unsere Gastgeber (Ich nenne sie jetzt einfach mal Antonio und Silvio. Ihre wirklichen Namen kennen wir zu unserer Schande nicht!) führen uns in einen großen Schlafsaal. Zwanzig Betten sind hier links und rechts an den Wänden aufgereiht. "Na, Platz haben wir dann wohl genug", sage ich zu Antonio (Das ist der, der nur italienisch spricht.) Er lacht. Silvio erklärt uns, wo er Kerzen deponiert. Wenn wir mit dem Essen fertig sind will er den Generator abschalten.

Apropos essen! Wir haben einen Bärenhunger. Wir hängen unsere feuchten Klamotten neben den offenen Kamin und waschen uns erst mal. Die Duschen sind noch in der Umbauphase. In der Zwischenzeit zaubert Antonio ein Abendessen. Wir sind so ausgehungert, daß wir gleich noch eine Portion ordern. Silvio erzählt uns, daß sie die Hütte am Sonntag schließen wollen. Heute ist Donnerstag. Wir haben also echt Schwein gehabt. Nächste Woche hätten wir hier nicht unterkommen können. Natürlich ist das Hauptthema beim Abendessen, ob es nötig war diese zusätzlich Übernachtung einzuschieben. "Klarheit werden wir erst morgen bekommen", sage ich. "Vielleicht sind es wirklich nur noch 30 Minuten bis zur Fahrstraße?" "Aber dann wären wir auch noch nicht in Locarno gewesen!", werfe ich noch nach. Ich bin auf jeden Fall froh, daß wir die Flexibilität bewiesen haben, ein unvorhergesehenes Problem zu lösen.

Mit der Erkenntnis, daß wir es schon richtig gemacht haben entspannen wir uns und genießen den Abend. Antonio legt noch Holz nach. Wir sitzen vor dem offenen Kamin und lassen uns den Rotwein schmecken. "Wie es dem Peter jetzt wohl geht?" "Ihm ist bestimmt langweilig." "So gemütlich wie wir hat er es sicher nicht."
Schließlich haben wir die nötige Bettschwere und kriechen in unsere Betten. "Hoffentlich ist das Wetter morgen wieder besser", murmele ich noch. Dann schlafe ich tief und fest, wie ein Stein.


Am Ziel

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Der Morgen begrüßt uns nicht gerade mit Sonnenschein, es ist aber deutlich besser als gestern. "Das sind keine Regenwolken!", stellt Adi bestimmend fest. Das Frühstück ist sehr italienisch. (Kaffee, Weißbrot, Marmelade und Honig.) Da aber unsere letzte Etappe nicht so stressig werden wird sind wir damit voll zufrieden.

Ohne Hektik packen wir unsere Sachen und Silvio erklärt uns noch den Weg. Das heißt, eigentlich erklärt Antonio. Er erklärt es Silvio und der dann uns. Es ist immer wieder erstaunlich wie man die Sprachbarrieren überwinden kann, wenn man will.
Also, starten wir auf unsere letzte Etappe. Lago Maggiore, heute kommen wir wirklich!

Von der Paßhöhe schauen wir noch einmal zurück zum Rifugio. "War doch eine nette Nacht mit Antonio und Silvio, oder?" In diesem Moment stellen wir fest, daß wir ihre richtigen Namen nicht kennen. Schade, daran haben wir nicht gedacht.
Jetzt aber den Blick nach vorne richten. Der Weg zieht sich eben, bis leicht ansteigend am Hang entlang. Am Anfang ist an fahren nicht zu denken. Teilweise ist er etwas ausgesetzt. Nicht extrem. Ich überlege mir aber, wie es bei einsetzender Dämmerung oder gar im dunklen wäre.

Eine Stunde brauchen wir, bis wir bei einer Antennenstation sind (Biscia 1995 m). Wir sind praktisch noch auf der gleichen Höhe wie der Passo S. Jorio. Bis hierher haben wir fast nur getragen. Hier scheint aber ein Karrenweg zu beginnen. Wir folgen ihm. Es geht ruppig bergab. "Hauptsache fahrbar", denke ich mir.
Nach zweihundert Höhenmetern kommen wir an eine Fahrstraße. Jetzt beginnt dann wohl die Abschlußabfahrt. Immerhin müssen wir ja noch 1500 Höhenmeter vernichten. Wir rollen los. Endlos führt der Waldweg (fast durchgehend geteert) durch die Kastanienwälder. Kehren wechseln mit Geraden. Richtig eben wird es eigentlich nie. Ohne zu kurbeln schrauben wir uns in die Tiefe. Gas, vor der Kehre bremsen und wieder Gas geben. Wie im Trance fliegen die Kastanienbäume rechts und links an mir vorbei.

Irgendwann sind wir dann in Arbedo (274 m). Die Abfahrt hat ein Ende. Warm ist es inzwischen geworden. Wir ziehen uns die lange Hose und den Windschutz aus. Schließlich sind wir ja in Italien. "Herbst ist es geworden", stellt Adi fest. Tatsächlich haben die Bäume hier schon viel Laub abgeworfen.

Wir rollen durch Belinzona. Wir suchen den Radweg nach Locarno. Bald haben wir ihn gefunden. Wir folgen einfach den Schildern, in der Hoffnung, daß die uns auf dem schönsten Weg nach Locarno führen.
Die Landschaft hier gibt nicht viel her. Es ist flach und links und rechts sind endlose Maisfelder. Dann kommt mal wieder ein Campingplatz. Irgendwann ist links ein Flughafen zu sehen. "Das muß der Flughafen von Locarno sein", klärt Adi mich auf. "Dann kann es nicht mehr weit sein!" Wieder Campingplätze. "Da ist der See!" Tatsächlich. Wir haben es geschafft. Wir sind am Lago Maggiore. Wir rollen mit einem Siegerlächeln die Uferpromenade entlang. Ganz entspannt. Diese Tour hat doch die ein oder andere Schwierigkeit in sich gehabt. Aber, wir haben es geschafft. Wie wir so rollen und uns in unserem Erfolg baden, bemerke ich, daß ich hinten Luft verliere. Erst ist es nur ein komisches Fahrgefühl, dann Gewißheit. Ich habe einen Platten! Vielleicht 1000m vom Treffpunkt weg. Da hilft alles jammern nichts. "Ich komme komplett am Ziel an!", sage ich zu mir und beginne gleich mein Hinterrad zu demontieren. "Hat das jetzt noch sein müssen?" Das Malheur ist bald behoben und ein See zum Hände waschen ist ja auch in der Nähe.

Wir fahren weiter an der Promenade entlang. "Da ist ein Wegweiser zum Bahnhof". Wir folgen ihm. Ein Stück die Straße entlang und wir stehen am Bahnhofsplatz. Hier wollen wir uns mit Peter treffen. "Da ist er ja!" "Hallo Leute!" "Hallo Peter!" Nun ist die Tour wirklich zu Ende. Am Ende geht dann doch alles viel zu schnell. Oberstdorf - Locarno liegt hinter uns.


Nachwort

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Einiges war neu für uns auf dieser Tour. Noch nie hatten wir unterwegs eine Etappe grundlegend umplanen müssen. Noch nie hatten wir einen Regentag auf einer unserer Bikereisen. Noch nie haben wir die Rückfahrt so umständlich organisieren müssen. Ich glaube wir haben es trotzdem gut hin bekommen. Wir und vor allem Peter (unser Chauffeur) waren flexibel genug um das in den Griff zu kriegen.

Wenn ich mich heute frage, was ich das nächste Mal anders machen würde, würde ich sagen:

  1. Die Tour gleich auf sechs Tage auslegen. Die vierte Übernachtung in Interferrera und die fünfte Übernachtung in Tini.
  2. Den richtigen Weg vom Furclette nehmen und so 700 Höhenmeter bergab tragen einsparen.

Die Streckenführung hat uns sehr gut gefallen. Es sind sehr eindrucksvolle Landschaften und schöne Ortschaften, durch die man fährt. Es sind lange Tragepassagen zu bewältigen, im großen und ganzen lohnt sich das aber. Man trifft kaum Wanderer, weil die Täler - aufgrund ihrer Weite - Wanderer abschrecken.
Alles in allem eine Traumtour.

Wir sind die Tour übrigens vom 5. September bis 10. September 1999 gefahren. Wir sind inzwischen auf die Zeit Anfang September geeicht. Wir haben in dieser Zeit einfach die beste Erfahrung mit dem Wetter gemacht.


Verwendete Karten

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Shell, Die Generalkarte Schweiz, Blatt Nr. 2; 1:200000; "Zentralschweiz"
Kompass Wanderkarte; Nr. 33; Fleischmann Verlag; 1:50000; "Arlberg- Nördl. Verwallgruppe"
Bündner Wanderkarte; Kümmerle + Frey; 1:60000; "Prättigau-Albula"
Bündner Wanderkarte; Kümmerle + Frey; 1:60000; "Oberengadin"
Landeskarte der Schweiz; Nr. 267T; 1:50000; "San Bernadino"
Landeskarte der Schweiz; Nr. 277; 1:50000; "Roveredo"
Velokarte; Kümmerle + Frey; 1:60000; "Locarno-Belinzona"


Ergänzende Literatur

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[ 1 ] Bikereise 3 von Eckart Heinrich; "Abenteuer Alpenüberquerung" - Mit dem Mountainbike von Oberstdorf nach Riva del Garda - Zu finden auf: www.Bikeabenteuer.de
[ 2 ] Bikereise 5 von Eckart Heinrich; "Ronda Grande" - Fünf Tage durch die Highlights der Dolomiten - Zu finden auf: www.Bikeabenteuer.de
[ 3 ] Zeitschrift Bike, Ausgabe 12/97, Spotguide 35, "Marathonspot Küblis". Nähere Info unter www.Bike-Magazin.de
[ 4 ] Bikereise 2 von Eckart Heinrich; "Sette di Comuni; - Fünf Tage auf der Hochebene der Sieben Gemeinden - Zu finden auf: www.Bikeabenteuer.de
[ 5 ] Bikereise 4 von Eckart Heinrich; "Auf den Spuren des Friedenspfades; - Fünf Tage auf alten Militärpisten im Trentino - Zu finden auf: www.Bikeabenteuer.de
[ 6 ] Zeitschrift Bike, Ausgabe 10/95, Spotguide 12, "Arosa". Nähere Info unter www.Bike-Magazin.de
[ 7 ] Zeitschrift Bike, Ausgabe 3/96, Spotguide 14, "Prättigau". Nähere Info unter www.Bike-Magazin.de
[ 8 ] Zeitschrift Bike, Ausgabe 6/96, Spotguide 17, "Lago Maggiore". Nähere Info unter www.Bike-Magazin.de
[ 9 ] Zeitschrift Bike, Ausgabe 7/98, Spotguide 42, "Montafon". Nähere Info unter www.Bike-Magazin.de


Technische Daten

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Die Technischen Daten habe ich - wegen der Übersichtlichkeit - in ein anderes Dokument ausgelagert. Hier findet ihr alles zur Streckenführung und den Übernachtungsmöglichkeiten.


Übersichtskarte

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Diese Übersichtskarte gibt einen groben Überblick über die Gegend in der unsere Tour verläuft. Details kann man auf dieser Übersicht allerdings nicht erkennen. Hierfür sei auf die angegebenen Detailkarten verwiesen.


Bilder der Tour

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Die Bilder zur Tour habe ich - wegen der Dateigröße - in ein anderes Dokument ausgelagert. Hier findet ihr ein paar optische Highlights der Tour. Leider muß ich mich natürlich auf ein paar Bilder beschränken. (Ich habe weder ISDN noch DSL!) Ich hoffe, es kommt trotzdem was rüber.


Stand: 9.05.2009
© by E.Heinrich