Abenteuer Alpenüberquerung
- Mit dem Mountainbike von Oberstdorf nach Riva del Garda -
von Eckart Heinrich
Inhalt:
Die Sonne geht gerade auf, Nebelschwaden ziehen durch das Tal.
Es ist der 9. September 1996, sieben Uhr. Ich stehe in
Oberstdorf und habe so eine merkwürdige Spannung im Bauch. Eine
Spannung die man hat, wenn etwas großes, unbekanntes auf einen
zukommt.
Wir haben uns vorgenommen mit dem Mountainbike von Oberstdorf
nach Riva del Garda zu fahren. Wir - das sind der Adi und ich -
wollen auf den Spuren von Andi Heckmair radeln. Er hat diese
Tour in der "bike" 8/91 veröffentlicht. Sechs Tage
haben wir angesetzt, wenn nichts dazwischen kommt.
Oberstdorf - Riva, d.h. circa 70 km und circa 2000 Höhenmeter am
Tag. Die Route ist so ausgelegt, daß möglichst keine
Straßenpässe sondern Feldwege und Schmuggelpfade befahren
werden.
Ist schon eine verrückte Idee. Mit dem Fahrrad über die Alpen.
Aber irgendwie mußte es so kommen. Vor zwei Jahren hatte uns der
Virus gepackt. Vier Tage waren wir in den Dolomiten unterwegs. [ 1 ]
Letztes Jahr fuhren wir dann fünf Tage durch die Sette di
Comuni, im Trentino. [ 2 ] Und dieses Jahr? Nun, die "große
Alpentour" war einfach fällig!
Das Gepäck hat eine Schlüsselrolle Es ist eine Gratwanderung
zwischen Sicherheit und Bikespaß. Beides darf nicht zu kurz
kommen. Nach den Erfahrungen der letzten Touren haben wir unser
Gepäck inzwischen ziemlich optimiert. Ich habe circa 8 kg im
Sack, Adi circa 10 kg. Er hat das Problem, daß er an seinem
Fully keine Werkzeugtasche befestigen kann. Also muß das Zeug
halt auch in den Rucksack. Freud und Leid eines Fullyfahrers.
Schließlich geht es los. Aber ich muß schon nach ein paar
hundert Metern wieder anhalten um mich wärmer einzupacken. Das
Wetter ist die große Unbekannte in unserer Planung. Seit Wochen
ist es schlecht bis mies. Vor einer Woche gab es Schnee in den
Bergen und wir haben das Ganze schon verloren gesehen. Aber laut
Wetterbericht der Schweiz und Österreich sind die nächsten Tage
"gut" und so wollen wir es wagen. Wer wagt gewinnt und
so radeln wir, dick eingepackt, aber bei blauem Himmel in das
idyllische Birgsautal.
Für Wanderer ist es scheinbar noch zu früh und so können wir
sogar den Fußweg befahren der sonst eher Ähnlichkeiten mit der
Münchener Fußgängerzone hat als mit einem Gebirgstal. Überall
liegt noch Reif auf den Wiesen und nur langsam kommt die Sonne
über die hohen Gipfel. Wir fragen uns, ob wohl Schnee auf dem
Schrofenpaß liegt.
Unser erster Paß. So circa zwölf Pässe sollen es insgesamt
werden. Mal sehen. Auf einer Proberunde haben wir den
Schrofenpaß schon mal "ausprobiert". Wir wollten
testen wie sich radeln und tragen miteinander verträgt. Der Test
verlief wohl positiv, sonst wären wir heute nicht unterwegs. Bis
zur Speicherhütte ist alles geteert und somit auch fahrbar. Hier
kommt die Sonne nun voll über den Berg. Der Himmel ist strahlend
blau, keine Wolke am Himmel. Für heute scheint das Wetter zu
passen. Bei der Speicherhütte wechseln wir von Bikeschuhen zu
Laufschuhen und es geht schiebend und tragend auf die Paßhöhe
(1687m). Die Wanderer, die wir dabei überholen, schauen recht
sparsam über soviel Verrücktheit. Die Kommentare sind aber eher
positiv als negativ. Oben angekommen gibt es Brotzeit in der
Sonne.
Bergab geht es dann, mehr fahrend als schiebend, bis Warth. Den
Ort kennen wir sonst nur im Winter. Es ist witzig die schöne
Landschaft mal ohne Schnee zu sehen. Von Warth nach Lech geht es
auf einer Teerstraße recht flott dahin.
In Lech zweigen wir dann ab in das Zuger Tal. Da dies eine
Mautstraße ist sind wenig Autos unterwegs. Später wechselt der
Belag von Teer in Schotter und wir sind wieder völlig von Autos
verschont. Der Weg führt uns weiter zum Formarinsee und der
über ihm liegenden Freiburger Hütte. Hier hat die
Tourenbeschreibung die erste Übernachtung vorgesehen. Es ist
aber noch früh am Tag und so fahren wir weiter. Es geht das
Rauhe Joch hinunter. Die Richtung ist Dalaas. Das Rauhe Joch hat
seinen Namen verdient. Wir können zwar das meiste fahren,
müssen aber doch circa 30 Minuten schieben bzw. tragen. Von
Dalaas aus geht es dann auf den Kristbergsattel. Wir wollen
einfach nicht die Teerstraße von Dalaas nach Bludens fahren,
also diese Variante mit circa 600 Höhenmeter mehr. Wir sind dann
doch ziemlich am Ende als wir oben ankommen. Aber dann kommt ein
super Downhill ins Silbertal. Eigentlich wollen wir Richtung St.
Bartholomäberg, aber im Geschwindigkeitsrausch verlieren wir
irgendwie die Richtung und landen in der Ortschaft Silbertal.
Auch egal. Von hier geht es dann auf der Straße bis Schruns.
Hier reicht es uns dann endlich.
Wir landen mehr zufällig beim Verkehrsamt und finden auch
schnell eine Unterkunft. Wir checken ein und sind recht zufrieden
mit dem Tag. Das Wetter paßt, die Unterkunft ist o.k. und wir
sind ein gutes Stück vorwärtsgekommen. Also, wenn das so
weitergeht...
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10. September 1996. Halb sieben, der Wecker geht. Wie ist das
Wetter? Traumhaft, also auf zur zweiten Etappe.
Die Knochen merken wir schon, aber wir sind ja nicht zum Spaß
hier. Also rein in die Klamotten und ab zum Frühstück. Es gibt
reichlich. Heute früh ist die Wirtin auch etwas entspannter als
gestern Abend. Es scheint als hätte sie auch eine angenehme
Nacht gehabt.
Um viertel nach acht geht es wieder auf die Piste. Es ist
deutlich wärmer als gestern. Auf den Autos ist kein Reif zu
sehen. Trotzdem packen wir uns wieder gut ein. Es geht auf der
Straße bis kurz vor St. Gallenkirch. Von hier geht es aufwärts
nach Gargellen.
Wir merken das uns der gestrige Tag doch in den Beinen steckt
aber langsam radeln wir uns warm. Schließlich kommen wir nach
Gargellen. Dies scheint ein klassischer Wintersportort zu sein.
Hier machen wir erstenmal Brotzeit. Man kann schon das
Schlappinger Joch sehen. Au Backe.
Nachdem wir Gargellen hinter uns gelassen haben geht es auf einem
sehr schönen Forstweg in das Valzifenszal. Immer der Sonne
entgegen. Der Weg den wir vor uns sehen schaut eigentlich nicht
so schlimm aus. Dann kommen wir an eine Abzweigung. Was soll das
denn? Rechts zum Schlappinger Joch? Der schöne Weg geht doch
geradeaus. Ein Blick in die Karte gibt dem Wegweiser recht. Der
schöne Weg geht ins Leere und wir müssen abbiegen. Einen Weg
können wir von hier unten nicht so richtig erkennen. Also Schuhe
wechseln und leise pfeifend das Rad geschultert. Das ist das
erste Mal, daß wir das Rad über längere Zeit schieben und
tragen müssen. Mit schieben ist auf diesem Weg nämlich nicht
viel los.
Nach etwas mehr als einer Stunde sind wir auf der Paßhöhe (2202
m). Ich stehe mit einem Rad noch in Österreich und mit dem
anderen Rad schon in der Schweiz. Wir blicken auf Davos und einen
wolkenlosen Himmel. Die hohen Schweizer Berge sind dick mit
Schnee bedeckt. Das Panorama ist einmalig.
Wir suchen uns einen windgeschützten Platz vor einer Hütte und
genießen den Ausblick. Im Schatten liegen noch Schneefetzen. Adi
erklärt mir die Berge rund um Davos. Er war hier schon oft beim
Skifahren und kennt scheinbar jeden Lift.
Der Wanderweg vom Schlappinger Joch bis runter nach Schlapping
ist leider nur zum Teil fahrbar. Aber die Landschaft und das
Wetter entschädigen uns.
Von der Ortschaft Schlapping, die idyllisch an einem See liegt,
geht es dann eine wilde Teer- und Schotterpiste steil bergab nach
Klosters.
Diese affensteile Abfahrt hat uns die Tragerei bald wieder
vergessen lassen.
Von Klosters nach Davos geht es auf der Hauptstraße über einen
langweiligen Straßenpaß. Der einzige Lichtblick sind zwei
bildhübsche Radlerrinnen, die uns bei einer kurzen Pause
überholen.
Bei der Einfahrt nach Davos wird uns klar das unser
ursprünglicher Plan noch bis zum Gasthof Dürrboden zu fahren,
heute nicht mehr zu machen ist. Ich stelle auf jeder Tour wieder
fest, daß der zweite Tag der schlimmste ist. Aber ich stelle
auch immer wieder fest, daß es dann immer schöner wird!
Wieder fragen wir im Verkehrsamt nach einem Zimmer und landen
schließlich im Hotel Rössli. Ein netter Laden. Ein wenig
vornehm aber mit einer netten Bedienung.
Vor dem technischen Dienst am Mann, werden die Räder versorgt.
Dann gönnen wir uns noch ein Radler auf dem Balkon in der
Abendsonne. Ein Traum. Solche Momente müßte man in Flaschen
füllen können.
Das Abendessen läßt auch keine Klagen aufkommen. Wir bekommen
unsere geliebten Nudeln und gehen mit den Hühnern schlafen.
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11. September 1996. Es ist acht Uhr. Gerade sind wir mit dem
Frühstück fertig. Die nette Bedienung von gestern war zwar
nicht mehr da. Aber ein kräftiges Frühstücksbüffet mit Müsli
und allen Schikanen ist uns eh wichtiger.
Die Sonne lacht uns wieder an. Also mit dem Wetter haben wir mal
wieder alles Glück des Jahrhunderts. Für heute haben wir uns
die beiden höchsten Pässe der Tour vorgenommen. Scaletta- und
Chaschaunapaß (2606 m und 2694 m).
Aber vorher muß Adi noch Probleme ganz anderer Dimension lösen.
Seine lange Hose löst sich auf. Mit geliehenem Nähzeug sitzt er
wie vor einer Diplomarbeit und flucht leise vor sich hin. Aber
dann ist auch dieses Problem aus der Welt geschafft.
Um halb neun kommen wir los. Es geht Richtung Gasthof Dürrboden.
(2000 m) Die Auffahrt durch das malerisches Dischmatal läßt die
Steigung kaum spüren und die Teerstraße kaum stören. Hier
scheint die Zeit stehengeblieben zu sein.
Vor uns sind komplett schneebedeckte Gipfel zu sehen. Später
werden wir erfahren, das 14 Tage zuvor noch 50 cm Schnee auf dem
Scalettapaß lagen und das andere Alpenüberquerer den Paß aus
diesem Grund umfahren mußten.
Für uns aber geht es am Gasthof Dürrboden vorbei und in
Richtung Paßhöhe. Nur vereinzelte Schneefelder zeugen von der
Höhe von 2606 m.
Die Sicht von der Paßhöhe ist wieder die Entschädigung für
die Mühen. Um uns herum schneebedeckte 3000er im Sonnenschein.
Wir stecken mitten im Alpenhauptkamm.
Der Weg zur Paßhöhe wäre ohne das viele Gepäck und die
Höhenmeter in den Knochen sicher fahrbar. So müssen wir etwas
schieben. Abwärts dann das bisherige Trailhighlight. Ein super
Wanderweg läßt die Höhenmeter nur so schmelzen. Bei einer Alm
(Alpe Funtauna) wird dann der Singletrail zum Forstweg. Aber auch
der ist vom feinsten. Und so geht es in wilder Fahrt durch das
einsame Val Susauna. Das sind die Momente, die man nicht recht in
Worte packen kann. Die Bilder, das Wetter, das Fahrgefühl, alles
was da auf einen einwirkt und eine Gänsehaut aufkommen läßt.
Die Momente halt in denen alles paßt.
Am Ende der Abfahrt kommen wir nach S-Chanf. Aber für heute
haben wir ja erst die halbe Wahrheit. Wir wollen ja noch bis
Livigno. Und von dort trennt uns noch der höchste unserer
Pässe, der Chaschaunapaß. (2694 m)
Also geht es wieder bergauf. Am Anfang ist der Weg super. Wieder
ein einsames Tal, wieder sind wie alleine mit uns und der Natur.
Dann hört der Weg plötzlich auf und wir fragen einen Jäger wie
das hier wohl weitergeht. "Ein wenig tragen und schieben bis
ihr auf die Schotterstraße zum Paß kommt" war seine
Antwort. So kommt es dann auch. Nach einer Trage-/Schiebepassage
kommen wir an eine Schotterstraße, die bis zur Chaschaunaalpe
führt. Diese hätte man auch gleich von S-Chanf aus fahren
können aber das nette Tal war den Umweg wert.
Von der Alpe geht dann ein Pfad weiter in einen gewaltigen
Talkessel. Der Kessel beeindruckt uns sehr wohl, doch nirgendwo
ist so etwas wie ein Paß zu sehen. Nach dem Kartenstudium wird
die Sache klarer. Den Weg auf die Paßhöhe hatten wir für
Trittspuren von Schumpen gehalten. Der Weg ist so übel
"angelegt", daß es eine rechte Schinderei ist unsere
Räder hinauf zu schleppen. Steil, rutschig, matschig und leise
fluchend geht es bergauf.
Beide merken wir die Erschöpfung. Irgendwann sind wir dann doch
oben. Italien liegt vor uns. In der Ferne sind die Berge in
Wolken. Es wird doch nicht...
Erstmal freuen wir uns das wir oben sind. Nach kurzer
Verschnaufpause wollen wir sehen wie wir wieder runter kommen.
Nach einem kurzen Stück Weg wird uns klar das da noch eine
Entschädigung auf uns wartet. Nach 100 Höhenmeter sind wir an
einem Refugium (leider geschlossen). Von hier aus sehen wir aber
eine Schotterpiste, die sich in endlosen Kehren ins Tal
hinunterschraubt. Also ist die Devise: Dick einpacken und rein
ins Vergnügen! In wilder Fahrt geht es bis Livigno. (900
Höhenmeter tiefer).
Nach dem ausrollen stehen wir vor einem Hotel. Wir checken gleich
hier ein. Das war also unsere Königsetappe. Wir haben gut die
Hälfte der Strecke hinter uns. Apropos hinter uns sind dicke
Wolken zu sehen. Aber die stören uns jetzt nicht mehr. Jetzt ist
essen und trinken angesagt. In unserem ersten italienischen
Gasthof gibt es zwar keine (!) Spaghetti aber wir werden trotzdem
dicke satt und nach einem Liter Rotwein haben wir auch die
richtige Bettschwere. Das Zimmer ist gut und alles konkurrenzlos
günstig.
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12.September 1996. Von den Wolken, die uns gestern noch
beunruhigt haben ist nichts mehr zu sehen. Nach einem üppigem
Frühstücksbüffet geht es wieder auf die Piste. Erst ist aber
noch ein technischer Defekt zu beheben. Meine Spezialanfertigung
von einem Schnellspanner hat den Geist aufgegeben. Also eine
Ersatzschraube suchen und mit dem Schnellspanner tauschen. Da
muß ich wohl ein ernstes Wort mit meinem Mechaniker reden. Von
wegen: "Die Schraube reißt Du nicht ab!" Gott sei Dank
halten sich die technischen Defekte ja in Grenzen, so daß wir
uns nicht beklagen wollen.
Heute stehen der Alpisella- und der Gaviapaß (2268 m und 2621 m)
auf dem Programm. Der Gaviapaß ist der einzige unserer Pässe,
den man mit dem Auto befahren darf. Hoffentlich hält sich dort
der Verkehr in Grenzen.
Die Fahrt durch das Alpisellatal ist schon mal vom feinsten.
Dieses Tal ist ein Kleinod für Biker. Ab und zu schieben wir ein
kleines Stück aber mehr aus "schonungstechnischen
Gründen". Landschaftlich erinnert die Gegend an einen
Märchenwald. Eine Holzbrücke über einen Tobel zeichnet sich
gegen die aufgehende Sonne ab. Toll. Gegen Mittag liegt dann der
Paß hinter uns. Die Sonne ist heute öfter mal von Wolken
bedeckt, aber das Wetter ist immer noch super. Auf einer netten
Almwiese machen wir Brotzeit und bekommen nette Gesellschaft von
einem jungen Hirtenhund. (kein Hirtenschwein!)
Weiter geht es an zwei großen Stauseen vorbei. Also Stauseen
bauen das können die Italiener. Auf der Route sieht man immer
wieder Beispiele für diese Baukunst. Schließlich stehen wir bei
zwei Ruinen und haben den Mund weit offen. Unter uns liegen
schier endlose Kehren einer Schotterstraße die offensichtlich
bis Bormio führt. Es ist der Passo Torre di Fraele. Ein Paß der
so heißt, muß doch einfach was sein. Auf der Piste selber wird
es dann noch besser als wir es uns vorgestellt haben. Eine
Traumpiste. Wir versägen glatt ein paar Autos, viel Verkehr ist
aber nicht. Es scheinen in der Hauptsache Angler und Ausflügler
zu sein die sich auf diese Piste wagen. Adi stellt seinen
persönlichen Alpenüberquerungsgeschwindigkeitsrekord von 66,8
km/h auf. (Man beachte: Schotterpiste und 10 kg Gepäck!). So
geht es in wilder Fahrt bis Bormio.
Bormio ist die erste richtig große Stadt durch die wir kommen.
Da der Gaviapaß für Autos geöffnet ist, brauchen wir nur den
Schildern durch den Ort zu folgen. Bald wird es wieder ruhiger
und der Weg zieht sich immer stetig bergauf führend ganz schön
in die Länge.
Ein Lichtblick ist auf jeden Fall der Verkehr. Da dies die
einzige Zufahrtsstraße zum Paß ist, können wir uns schon
denken, daß es sich mit dem Verkehr in Grenzen hält. Und so ist
es dann auch. Der Paß ist zwar autogerecht ausgebaut aber wir
sind fast alleine unterwegs. Wir können uns also voll auf die
Landschaft konzentrieren, die hier echt schön ist. Ein paar
Autos, Motorräder und Radler, sonst nur Berge, Gletscher und
wir.
Während wir so der Paßhöhe entgegen strampeln sind wir beide
froh, daß wir nicht der Beschreibung gefolgt sind und einen
parallel verlaufenden Wanderweg genommen haben. Von der Straße
aus können wir erkennen, daß es eine reine Tragepassage
geworden wäre. Die Straße ist dagegen angenehm zu fahren. An
einem Wochenende könnte das anders aussehen.
Als wir dann die Paßhöhe erreichen sind wir beide mal wieder
ziemlich am Ende. Einige steilere Passagen haben doch wieder an
den Kräften gezerrt. Aber beim Umziehen freuen wir uns schon
wieder auf die Abfahrt. Und die Vorfreude war auch diesmal
berechtigt. Erst auf Teer, dann auf Schotter driften wir 1400
Höhenmeter hinunter bis Ponte di Legno. Die Motorradfahrer haben
schon ein wenig mit den Ohren geschlackert als wir mit bald 70
Sachen an ihnen vorbeigesemmelt sind.
In Ponte di Legno geraten wir, mehr zufällig, an das
Fremdenverkehrsamt und haben auch bald ein nettes Hotel gefunden.
Heute wollen wir mal 'ne Pizza schnabullieren. Wir finden auch
bald ein Lokal und stürzen uns auf ein regelrechtes Festessen.
Auf dem Weg von der Pizzeria zum Hotel sehen wir eine sternklare
Nacht und schlafen mit der Gewißheit ein, daß der morgige Tag
wieder ein herrlicher Sonnentag wird. Ja ja, wenn Königskinder
reisen...
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13. September 1996. Die Übernachtung und das Frühstück
waren gut. Das Wetter ist - wie wir es inzwischen schon erwarten
- gut bis super. Heute sind die Autoscheiben wieder nicht
gefroren. Wir sind ja inzwischen auch schon weit nach Süden
vorgedrungen.
Die Tourenbeschreibung sieht für heute den Passo di Campo vor.
Von früheren Tourenfahrern wissen wir, daß dieser Paß mit 4-5
Stunden schieben und tragen auf uns wartet. Aus diesem Grund
haben wir uns, schon bei der Vorbereitung, eine Ausweichroute
zusammengestrickt. Der Nachteil dieser Variante ist das die ganze
Etappe auf Teer verläuft. Aber was soll es, besser als den Bock
so lange zu tragen.
Aber zuvor dürfen wir noch einige Höhenmeter vernichten. Bis
Cedegolo geht es auf der Straße abwärts. Das Wetter wird besser
und besser bis wir schließlich wieder wolkenlosen Himmel über
uns haben.
Schließlich kommt das was kommen muß. Bei der Rast in Cedegolo
erwähne ich so nebenbei, daß dies der Ort ist von dem die
"Originalroute" abzweigt. Wir schauen uns an und sind
uns einig. Wir schmeißen alle Bedenken über Bord und wollen
doch die beschriebene Route fahren. "Wenn die anderen so
lange tragen mußten, dann muß uns das ja nicht auch so
gehen!"
Im Tabaccoladen besorge ich noch die fehlende Karte und wir
machen uns auf den Weg zum Passo de Campo. (2296 m) Bis Rasega
führt eine nette Paßstraße und wir freuen uns über unsere
Entscheidung. Bei dem Wetter den ganzen Tag auf einer
Hauptstraße? Ne, dann lieber schieben. Wir sind ja nicht zum
Spaß unterwegs.
In Rasega angekommen kehren wir in einem netten kleinen Lokal
ein. Ein Hinweisschild auf dem Weg hierher hatte uns neugierig
gemacht. Wir bekommen eine Riesenportion Spaghetti zu einem
Spottpreis und machen uns schließlich auf um zum Passo de Campo
zu kommen. Es ist wieder so, daß man ohne das Gepäck und die
tausenden Höhenmeter sicher fast alles fahren könnte. Aber wir
schieben dann doch ein gutes Stück. Plötzlich stehen wir über
dem Lago di Arno und mir bleibt fast die Spucke weg von der
unbeschreiblichen Landschaft rund um den See.
Die Spucke bleibt uns auch weg, weil wir jetzt die Länge des
Weges bis zur sichtbaren Paßhöhe erahnen. Von hier aus ist
schon klar, daß auf diesem Weg mit fahren nicht viel los sein
wird. Unzählige Geröllfelder stellen sich uns in den Weg. In
dem Zustand indem wir den Weg zu Gesicht bekommen haben war an
fahren nicht zu denken.
Und so kam es, daß wir tatsächlich fast bis zur Paßhöhe
schieben müssen. Aber es kommt noch dicker. Der Weg vom Paß
herunter ist noch viel schlechter als der hinauf. Also schieben
und tragen wir auch hier weit mehr als uns lieb ist.
Endlich stolpern wir auf die Kraftwerkstraße (mal wieder ein
Stausee!) nach Pieve di Bone.
Es ist spät und kühl geworden. Wir ziehen uns um und jagen die
Straße hinunter. Bald kommen wir an einem Albergo vorbei und
fragen nach einem Zimmer. Bingo. Ein netter Laden. Die Gegend
scheint ein beliebtes Klettergebiet zu sein. Unter den Gästen
sind auch einige Bergsteiger. Es geht schlicht und herzlich zu.
Essen und trinken ist va bene. Das haben wir uns nach dem Tag
aber auch verdient.
Über diese Etappe muß man abschließend noch sagen, daß sie
mehr für Masochisten gedacht ist. Die Variante, die wir als
Alternative geplant haben wäre sicher die vernünftigere
gewesen. Landschaftlich ist die Variante die wir gewählt haben
aber sicher eine der schönsten Wanderungen der ganzen Tour. Wir
bereuen sie nicht, würden sie aber auch keinem empfehlen.
Diese Etappe ist ein gutes Beispiel für die Veränderungen an
Wegen, die in den Bergen immer vorkommen können. Ein Weg der in
einem Jahr noch gut fahrbar ist, kann im nächsten Jahr schon von
umgestürzten Bäumen oder Murenabgängen blockiert sein, oder zu
einer Schiebe- Tragestrecke werden.
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14. September 1996. Komisch ist das schon. Diese Nacht habe
ich im schlechtesten Bett verbracht, trotzdem habe ich von allen
Nächten der Tour am besten geschlafen. Vielleicht ist es schon
die Vorfreude auf die heutige Genußtour, wer weiß. Der Laden
hier ist auf jeden Fall zu empfehlen. Das Frühstück hat das
noch unterstrichen. So packen wir ein letzes mal, leise pfeifend
unser Säckchen und freuen uns auf das heutige
"Sahnehäubchen".
Erst geht es noch endlos weiter bergab über Pieve de Bone bis
Storo. Hier stehen dann die ersten Hinweisschilder mit unserem
Endziel: "Lago di Garda". Es kann also nicht mehr weit
sein. In Storo dann umziehen, die Sonne jagt uns aus den langen
Klamotten. So machen wir uns an den Anstieg zum Passo Ampolo.
Von der Paßhöhe geht eine Straße zum Passo Tremalzo. Der
Anstieg zum Tremalzo zieht sich noch mal kräftig hin. Hier
merken wir dann auch langsam, daß wir in
"Moser-Regionen" kommen. Es sind einige Biker
unterwegs. Teilweise strampeln sie auch die Straße hoch,
teilweise besteht ihre Sportlichkeit aus dem betätigen des
Gaspedals um ihre Nobelhobel auf die Paßhöhe zu bringen. Zum
fahren wären die Räder wohl auch viel zu schade. Irgendwann
überholen uns zwei Kemptener. Sie erzählen uns, daß es noch
vor ein paar Tagen am Reschen- und am Fernpaß Schnee gegeben
hat. Sie wollten uns nicht recht glauben, daß wir auf unserer
Tour so schönes Wetter hatten.
Kurz vor der Paßhöhe halten wir an einem Hotel und geben uns
noch mal ne' Portion Pasta. Das Wetter ist zum Mäuse melken
schön und auf der Terrasse hier herrscht akute
Sonnenbrandgefahr. Aber wir stellen uns auch dieser Gefahr
furchtlos.
Dann geht es schließlich weiter, am Refugio Garda vorbei, hinauf
zum Tremalzo-Scheiteltunnel. Wau. Die Aussicht ist ein Traum. Wir
bekommen eine Ahnung von dem was kommt. Eine schier endlose
Abfahrt über Schotterkehren. Ab und zu müssen wir anhalten. Die
Aussicht kann man nicht so einfach ignorieren und währen der
Fahrt kann man sie nicht genießen. Man muß einfach Fotos
machen, wenn man hier das erste Mal runterkurvt. Schließlich
kommt er in Sicht.
Der Lago. Was soll ich noch sagen. Überhaupt ist eines der
großen Probleme dieser Tour, daß einem schon nach ein paar
Tagen einfach die Superlative ausgehen. Man kann diese Erlebnisse
nicht mit Worte beschreiben, man muß sie erleben, sonst kann man
dieses Abenteuer nicht nachvollziehen. Aber wir sind ja noch
nicht am Ende unserer Reise angelangt.
Gut das ich mir für diesen letzten Abschnitt die Tour 7 aus dem
Moser-Gardaseeführer kopiert habe.
Aus der Karte hätten wir den genialen Weg sicher nicht
herauslesen können. So geht es über Traumtrails über Passo di
Rochetta und Pregasina in wilder Fahrt bergab. Erst auf der alten
Ledrostraße werden wir langsamer. Genußvoll gleiten wir dahin.
Wir haben es geschafft.
Mit stolz erfüllter Brust steuern wir unsere Räder durch Riva.
Leute schaut her: "Wir haben es geschafft!" Der
krönende Abschluß wird, wie wir uns das vorgestellt haben.
Ein Cappuccino in der Sonne. Die letzte Etappe wird noch mal
durchgekartelt. In der Hauptsache natürlich die Tremalzoabfahrt.
Ich frage mich immer wie die Bikes das überhaupt aushalten.
Normalerweise müßten die Dinger nach so einer Tour in alle
Einzelteile atomisiert zusammenfallen. Aber sie machen das mit.
Sauber sag ich.
Mein Bike hat die Tour auf jeden Fall besser überstanden als
ich. Kurz vor dem Ziel habe ich an einem Felsen noch einen Fetzen
vom Knie und eine Trinkflasche verloren.
Das Abschlußfoto machen wir noch schnell, bevor die Sonne hinter
dem Berg verschwindet. Man war das ne' Supertour. Wenn man die
ganze Sache im nachhinein betrachtet waren wir schon verrückt.
Die ganze Schufterei, Tragerei und die ständige
Sonnenbrandgefahr.
Die Tour ist eigentlich nur etwas für Spinner! Welche Tour
machen wir wohl das nächste mal?
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Wenn ich den Bericht ab und zu mal wieder lese, bekomme ich manchmal selber wieder eine Gänsehaut. Dieses Bikeabenteuer war wirklich ein unvergeßliches Erlebnis. Wenn ich überlege, was man besser oder anders machen sollte, fällt mir im Prinzip nichts gravierendes ein. Die Etappe über den Passo di Campo ist so eine Gewissensfrage. Ich möchte sie aber nicht missen. Für die, die der Etappe nichts abgewinnen können, gibt es ja auch die Möglichkeit mit dem Auto nach Riva zu fahren.
Wir sind die Tour übrigens vom 10. September bis 15. September 1996 gefahren. Wir sind inzwischen auf die Zeit Anfang September geeicht. Wir haben in dieser Zeit einfach die beste Erfahrung mit dem Wetter gemacht.
Shell, Die Generalkarte Österreich, Blatt Nr. 3; 1:200000; "Vorarlberg, Tirol, Südtirol"
Shell, Die Generalkarte Italien, Blatt Nr. 2; 1:200000; "Brenner, Verona"
Kompass Karte 33, Arlberg-Nördl. Verwallgruppe, 1:50000
Kompass Karte 41, Silvretta Verwallgruppe, 1:50000
Kompass Karte 71, Adamello La Presanella, 1:50000
Kompass Karte 72, Ortler/Ortles Cevedale, 1:50000
Kompass Karte 96, Bormio-Livigno, 1:50000
Kompass Karte 102, Lago di Garda-Monte Baldo, 1:50000
Kümmerly und Frei, Prättigau Albula, 1:60000
Kümmerly und Frei Oberengadin, 1: 60000
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[ 1 ] Bikereise 1 von Eckart Heinrich; " Drei Zinnen Runde; - Ein Greenhorn wird zum Mountainbiker - Zu finden auf: www.Bikeabenteuer.de
[ 2 ] Bikereise 2 von Eckart Heinrich; "Sette di Comuni; - Fünf Tage auf der Hochebene der Sieben Gemeinden - Zu finden auf: www.Bikeabenteuer.de
[ 3 ] Zeitschrift Bike, Ausgabe: 8/91, Beschreibung der Tour. Nähere Info unter www.Bike-Magazin.de
[ 4 ] Unterlagen von Andi Heckmair, Oberstdorf. Nähere Info unter www.Heckmair.de
[ 5 ] Zeitschrift Bike, Ausgabe 3/96, Spotguide 14, "Prättigau". Nähere Info unter www.Bike-Magazin.de
Die Technischen Daten habe ich - wegen der Übersichtlichkeit - in ein anderes Dokument ausgelagert. Hier findet ihr alles zur Streckenführung und den Übernachtungsmöglichkeiten.
Diese Übersichtskarte gibt einen groben Überblick über die Gegend in der unsere Tour verläuft. Details kann man auf dieser Übersicht allerdings nicht erkennen. Hierfür sei auf die angegebenen Detailkarten verwiesen.
Die Bilder zur Tour habe ich - wegen der Dateigröße - in ein anderes Dokument ausgelagert. Hier findet ihr ein paar optische Highlights der Tour. Leider muß ich mich natürlich auf ein paar Bilder beschränken. (Ich habe weder ISDN noch DSL!) Ich hoffe, es kommt trotzdem was rüber.
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